Kindertraum

Diese Geschichte beginnt in einer kleinen Provinzstadt der damaligen Sowjetunion vor circa 30 Jahren. An einem der warmen Frühlingstage beschlossen wir, also paar gute Schulfreunde von mir und ich, ein Fahrradtour durch die naheliegende Straßen und Parken zu machen. Unser Weg ging über die schönen Alleen des botanischen Gartens, die in Schatten der blühenden Apfelbäume untertauchten. Das Ziel unseres Tours war einer der schönsten Plätze der Stadt – die Hochufer an der Biegung des Flusses Vitba. Nachdem wir angekommen waren, suchten wir einen schönen Platz mit dem Blick auf die Cliffs und stützten in unsere heißen jugendlichen Diskussionen. An die Themen unserer Debatten kann ich mich nicht mehr erinnern, aber der Moment, der in den nächsten Sekunden geschah, ging mir bis heute nicht aus dem Kopf…

Wie es üblich ist, wurde genau in der Nähe dieses malerischen Ortes ein der wichtigsten Wohnhäuser des Stadt gebaut. Wichtig war das einfache Panelhaus nicht, weil das Gebäude mit seiner Architektur etwas Besonderes war.  Die Wichtigkeit verliehen dem Haus seine Bewohner:  Die Top Partei,- und Regierungsmitglieder der Stadt und der Region. Währen meine Freunde diverse Themen aus diskutiert haben, ist einer der Bewohner, genau genommen der erste Sekretär der Regionalpartei mit einem schwarzen Limousine nach Hause angekommen.  Er stieg aus dem Auto aus und  verschwand schnell im Treppenhaus. Die nächsten paar Sekunden standen meine Freunde aber weiter wie gelähmt und starrten in die Ferne. Ich denke mittlerweile, sie wären nicht so stark atemberaubend gewesen, wenn eine UFO vor uns gelandet wäre, als vor dieser Wunder der Technik aus Chrom, die plötzlich aus dem Nichts erschien und unsere Blicke an sich fesselte.

Nach einem kurzen Moment kam einer meiner Freunde von der Erstarrung wieder zu sich und schrie voller Begeisterung: „Tschaikaaa“… (aus dem Russischen genau übersetzt „Möwe“). Ich warf meinen Blick zum Himmel uns sah tatsächlich eine schneeweise Möwe über uns in der Luft schweben. Mit elegant ausgetreckten Flügeln flog dieser schöne Vogel über die steifen Kliffs, flitzte tief über dem Wasser oder wieder hoch in den Himmel.

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Als ich meinen Blick wieder auf meine Freunde warf, merke ich, dass sie immer noch in die Ferne Richtung schwarzer Limousine schauten. In dieser Sekunde war mir klar, dass die “ Tschaika“ (also „Möwe“) die Marke der Limousine war!

Alle Merkmale und Konturen des anmutigen Vögeles wurden in fast allen Linien des Wagens widergegeben.  Besonders die Umrisse der Türen erinnerten wirklich an die Flügel der graziösen Möwe.  Wir nährten uns rasch dem Auto und musterten es von der Nähe. Darauf stand „Tschaika“.

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Leider war dieser Moment so kurz, das Auto verschwand genau so schnell, wie es erschienen war und ließ nur eine Staubwolke hinter sich.

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Der Wagen hat mich so tief beeindruckt, dass ich mir selbst versprechen musste,  irgendwann mal die Gelegenheit zu schaffen, da mitfahren zu dürfen.  Obwohl gleichzeitig war mir natürlich klar, dass der Weg von meinem Fahrrad bis zu dem Regierungswagen so weit weg und unrealistisch war. Vor allem von „Tschaika“ wurden insgesamt 3176 Exemplare hergestellt, von daher war mein neuer Traum fast wie unerreichbar.

Viele Jahre danach hat mich mein Leben immer wieder herausgefordert.  Meine Karriere und generell meine Existenz haben mich oft vor den schwierigen Entscheidungen gestellt, mit vielen interessanten und auch weiniger interessanten Menschen zusammen geführt, lustige und unvergessliche Abendteuer vorbereitet  – dabei musste ich immer wieder an diesen einen Moment damals an dem Flussufer denken und an mein kindisches Versprechen. Wahrscheinlich hat mir genau dieser Traum viel Kraft in den harten Tagen gegeben. Lebenslang wollte mich diese verrückte Idee „Tschaika“ zu fahren nicht verlassen.

Seit dem Tag an dem Flussufer ist viel Zeit vergangen und natürlich hat sich die Automotivindustrie stark verändert und rasche Fortschritte erlebt. Und genau das macht heute diesen Oldtimer „Tschaika“ noch mehr einzigartiger. Nach einem Telefongespräch mit meinem Onkel aus New York, den Ex Beamter der sowjetischen Zeit, haben wir über die früheren Geschäftswagen der Regierungsmitglieder und Beamter gesprochen. Mein Onkel fuhr damals den alten Wagen Volga GAZ-21. Und er konnte sich auch an den damals einzigen in der Stadt Wagen „Tschaika“ erinnern.

Dieses Gespräch war als Zeichen für mich, dass die Zeit der Verwirklichung meines Traumes gekommen ist. Kurz danach habe ich mit meinen Recherchen angefangen, wo man heute noch so einen Wagen kaufen konnte. Es gaben viele Anbieter, nur war aber der Wagen entweder sehr teuer oder  in einem sehr schlechten Zustand, so dass die Reparaturkosten unbegrenzt hoch wären.

Trotz aller Schwierigkeiten habe ich meine Recherchen fortgesetzt und eines Tages fand ich eine Anzeige mit dem Wagen „Tschaika“, Baujahr 1969. Der Wagen wurde vor 9 Jahren aus Bulgarien nach Belgien transportiert. Die letzten 8 Jahre hat das Auto immer draußen gestanden und fing an, an vielen Stellen zu verrosten und der Salon hatte sogar verschimmelte Stellen.

Abgesehen von dem Zustand des Wagens beschloss ich für mich, diesen Wagen zu kaufen.

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Mit dem Kauf dachte ich, mein verrückter Kindertraum ist endlich in Erfüllung gegangen. Jedoch mit Beginn der Reparaturarbeiten habe ich verstanden, dass bis zu dem Traum noch ein weiterer längerer Weg liegt… Der Weg, der viel Zeit, Geduld, Investitionen und Kraft fordert.

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Abgesehen aber von diesen letzten kleinen Hindernissen, bleibe ich immer noch treu meinem Ziel und meinem Traum, diesen wunderschönen Wagen bald selbst fahren zu dürfen.